Die Freimaurerei
Regeln und Pflichten
Schriftliche Hinweise auf diese überregionale Struktur und ideelle Ordnung finden sich erstmals im mittelenglischen Regius-Manuskript, der wahrscheinlich ältesten und aus dem Jahr 1390 stammenden Niederschrift von Regeln der Steinmetzbruderschaften. Das Gedicht sollte den jungen Handwerkern das Auswendiglernen der Gesetze und Pflichten der Bruderschaft erleichtern.
Die zweitälteste bisher bekannte Handschrift der mittelalterlichen englischen Bauleute, das Cooke-Manuscript, ist etwa 1430 bis 1440 entstanden. Das Pergament wird im Britischen Museum aufbewahrt. Es enthält eine Art Zunftsage, Anleitungen zur gewissenhaften Erfüllung der Zunftpflichten und zu sittlich-religiösem Verhalten. Auch die Straßburger Steinmetzordnung (1495) und die Rochlitzer Ordnung (1462) liefern Hinweise, daß es sich jeweils nur um die Reformation einer weitaus älteren Ordnung handelt.
Der Niedergang der gotischen Bauhütten - und damit auch der mittelalterlich-kosmopolitischen Steinmetzbruderschaften - beginnt ein paar Jahrzehnte später. Wenige Hammerschläge lösen ein Erdbeben aus, das die Grundfesten des christlichen Abendlandes nachhaltig erschüttert: Martin Luther schlägt der Legende zufolge am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg. Die Reformation bringt das religiöse Weltbild der Menschen ins Wanken. Durch den folgenden Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 kommt das Sakralbauwesen völlig zum Erliegen.
Während die Steinmetzbruderschaften auf dem "europäischen Festland faktisch eingehen, kann die kosmopolitische Bruderschaft ihr Wissen und ihre Gebräuche auf der britischen Insel in die Neuzeit retten. Hier hatte man rechtzeitig begonnen, das Fortbestehen der Hütten durch angenommene Maurer (engl.: »accepted masons«) zu sichern.
Aufnahmen solcher Fördermitglieder sind zum Beispiel 1634 im Protokoll der Loge Mary´s Chapel (No. 1) von Edinburgh zu finden - hier ist die Aufnahme von Lord Alexander Viscount Canada, Sir Anthony Alexander und Sir Alexander Strachan vermerkt.
Angesichts der klingenden Titel fragen Sie sich vielleicht, warum ausgerechnet Adlige um Aufnahme in eine quasi aussterbende Handwerker-Bruderschaft ersucht haben - das wirkt aus heutiger Sicht sicherlich etwas seltsam. Die Antwort ist simpel: Steinmetze genossen immer noch ein hohes Ansehen - wegen ihrer internationalen Verbindungen waren sie kosmopolitisch geprägt und unterschieden sich mit ihrer lockeren und toleranten Haltung stark vom vorherrschenden englischen Puritanismus im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Der offene Geist, der in der Bruderschaft gepflegt wurde, paßte exzellent zu den Ideen von Aufklärung und Humanismus. Weil die Brüder traditionell zur Verschwiegenheit verpflichtet waren, konnten sich in den Logen Adlige, Bürger und Handwerker ungestört über die revolutionären Ideen der Zeit austauschen - in seinerzeit übrigens durchaus umstrittener Geselligkeit: In alten Zeitungen finden wir Artikel, in denen die Trinksitten der Freimaurer angeprangert werden.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein der Entstehungsgeschichte der modernen Freimaurerei ist eine Katastrophe des Jahres 1666. Ein Großbrand vernichtet fast achtzig Prozent Londons. Beim Wiederaufbau hatte plötzlich das Wissen der alten Bruderschaft wieder Konjunktur. Nach dem Wiederaufbauboom sank die Zahl der Logen zwar erneut, aber der entscheidende Schritt zum »Überleben« folgte noch rechtzeitig:
Am 24. Juni 1717 schlossen sich vier alte Werkmaurerlogen in London und Westminster zur Ersten Großloge von England unter einem gemeinsamen Großmeister zusammen. Der Tag gilt als das offizielle Gründungsdatum der modernen Freimaurerei.